Der Staat hat seine Gerichte so auszustatten, dass sie die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abschließen können. Die Erfüllung dieser Verpflichtung kann den Justizbehörden insgesamt als drittgerichtete Amtspflicht obliegen.
Wird durch eine rechtswidrige Verzögerung der Eintragung von Auflassungsvormerkungen im Grundbuch die beabsichtigte Veräußerung von Eigentumswohnungen zeitweilig verhindert, so kann dies einen Entschädigungsanspruch des betroffenen Grundstückseigentümers aus enteignungsgleichem Eingriff begründen.

BGH, Urteil vom 11.01.2007 – III ZR 302/05

Sachverhalt:
Ein Bauträger errichtet in Schleswig-Holstein eine Ferienanlage mit 45 Eigentumswohnungen und verkauft diese an Interessenten. Voraussetzung für die Fälligkeit der Kaufpreise, mit denen der bei dem finanzierenden Kreditinstitut bestehende Kontokorrentkredit zurückgeführt werden soll, ist unter anderem die Eintragung von Auflassungsvormerkungen für die Käufer. Im September 1996 stellt der Urkundsnotar die Anträge auf Eintragung der Auflassungsvormerkungen beim zuständigen Grundbuchamt. Diese werden aber erst Ende Juli 1998, also ca. 23 Monate später, eingetragen, weil das Grundbuchamt wie auch andere Abteilungen des Amtsgerichts zu diesem Zeitpunkt überlastet ist.

Nachdem der zwischenzeitlich insolvent gewordene Bauträger seine möglichen Forderungen an die finanzierende Bank abgetreten hat, klagt diese gegen das Land Schleswig-Holstein auf Ersatz von Zinsschäden des Bauträgers sowie eigener Ausfälle mit Zinsforderungen. Das OLG Schleswig gibt der klagenden Bank Recht. Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Gründe des Gerichts:
Ein Amtshaftungsanspruch hat grundsätzlich das individuelle Fehlverhalten eines einzelnen Beamten zur Voraussetzung. Ein solches liegt hier nach Meinung des OLG und des BGH nicht vor, da dem zuständigen Rechtspfleger wegen der bekannten Arbeitsüberlastung kein individueller Vorwurf zu machen ist. Der BGH prüft dann weiter, ob ein Amtshaftungsanspruch gegen das Land Schleswig-Holstein wegen eines sogenannten „Organisationsverschuldens“ in Betracht kommt. Dann müsste dem Land die Arbeitsüberlastung bzw. die mangelhafte Personalausstattung des Amtsgerichts zum Vorwurf gemacht werden können. Dies wäre – so der BGH – dann der Fall, wenn der Direktor des Amtsgerichts, die Präsidenten von Landgericht und Oberlandesgericht oder das Justizministerium des Landes die ihnen jeweils möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Erledigung der Eintragungsanträge in angemessener Zeit unterlassen hätten. Dabei liege die Beweislast dafür, dass das Land alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte, bei dem Land selbst. Da hierzu aber noch Feststellungen fehlen, verweist der BGH den Streitfall zurück.

Nach Meinung des BGH kommt neben dem Anspruch auf Amtshaftung auch ein Anspruch aus dem sogenannten „enteignungsgleichen“ Eingriff in Betracht. Die verspäteten Grundbucheintragungen seien eine faktische „Veräußerungssperre“ gewesen. Allerdings gewähre der enteignungsgleiche Eingriff keinen vollen Schadensausgleich, sondern lediglich eine angemessene Entschädigung. Diese orientiere sich in Fällen wie diesen an der „Bodenrente“, also beispielsweise einem Miet-, Pacht- oder Erbbauzins. Der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff rechtfertige deshalb nicht die vom OLG Schleswig vorgenommene Verurteilung in voller Höhe des Zinsschadens.

Rechtliche Einordnung:
Amtshaftungsanspruch und enteignungsgleicher Eingriff sind komplizierte Rechtsinstrumente und stehen nicht häufig auf der gerichtlichen Tagesordnung. Das Urteil taugt deshalb nicht als „kleine Münze“ für Auseinandersetzungen mit Behörden. Immerhin zieht der BGH in diesem Urteil aber den Anwendungsbereich des Tatbestands der Amtspflichtverletzung weiter als bisher. Eine Amtspflichtverletzung kann nun auch dann vorliegen, wenn es an einzelnen Verwaltungsstellen wegen Überlastung zu unzumutbaren Verzögerungen kommt und die hierfür zuständige Zentralbehörde keine Abhilfe schafft.

Kommentar:
Ein bürgerfreundliches Urteil. Auch in Zeiten knapper Kassen ist der Staat gehalten, seine Personal- und Sachmittel effektiv einzusetzen, um ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Rechtsstaates im Interesse seiner Bürger zu ermöglichen.