Das Wohnungseigentumsgesetz ist auf eine sogenannte werdende Gemeinschaft analog anwendbar. Eine werdende Gemeinschaft bilden die Erwerber, für die eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen und denen der Besitz an der Wohnung übergeben worden ist.

BGH, Beschluss vom 05.06.2008 – V ZB 85/07

Ein Grundstück wird in Wohnungseigentum aufgeteilt. Eine der dadurch entstehenden Eigentumswohnungen wird im Jahre 1999 an Frau A verkauft. Zu ihren Gunsten wird eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Im Jahre 2001 zieht sie in die Wohnung ein.
Erstmals im Jahre 2002 wird ein weiterer Erwerber als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung sind bis auf Frau A alle anderen Erwerber zwischenzeitlich als Eigentümer eingetragen.
Die Wohnungseigentümergemeinschaft verlangt von Frau A Zahlungen der für die Jahre 2002 und 2003 beschlossenen Wohngelder. Frau A weigert sich mit dem Argument, nicht Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft zu sein.
Das Amtsgericht verurteilt sie zur Zahlung. Das Landgericht weist ihre Beschwerde zurück. Das Oberlandesgericht legt die Frage dem BGH vor. Dieser bestätigt die Entscheidung des Amtsgerichts.

Rechtlicher Hintergrund:
Da Frau A noch nicht als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen ist, ist sie nach dem WEG auch noch nicht Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft. Der § 16 Abs. 2 WEG, auf dessen Grundlage die Beiträge erhoben werden, entfaltet direkt gegenüber Frau A deshalb keine Wirkung. Viele Instanzgericht haben bei einer solchen oder ähnlichen Konstellation deshalb in der Vergangenheit mit der Konstruktion der sogenannten „werdenden Eigentümergemeinschaft“ gearbeitet. Liege eine solche „werdende Eigentümergemeinschaft“ vor, so seien die Regeln des WEG (analog) auf sie anzuwenden. Der BGH hatte in der Vergangenheit zwar angedeutet, dass dies möglich sein könnte; er hatte sich aber nicht abschließend dazu geäußert. Mit der jetzt getroffenen Entscheidung erkennt er die Rechtsfigur der werdenden Gemeinschaft an. Zugleich stellt er Kriterien dafür auf, ab wann eine werdende Gemeinschaft vorliegt.

Gründe des Gerichts:
Der BGH hebt darauf ab, dass – insbesondere beim Kauf von Bauträger – zwischen Verkauf und Übergabe von Wohnungen einerseits und der Eintragung des ersten Miteigentümers anderseits Jahre liegen können. Die Wohnanlage müsse aber schon ab Bezugsfertigkeit und Übergabe bewirtschaftet und verwaltet werden. Dies könne sinnvollerweise nicht allein dem Veräußerer überlassen bleiben, sondern müsse unter Mitwirkung der zukünftigen Eigentümer erfolgen. Aus diesem Grund bestehe ein Bedürfnis für eine „vorverlagerte Anwendung“ des WEG.

Praxishinweis:
Eine werdende Eigentümergemeinschaft liegt dem BGH zufolge dann vor, wenn

  • ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen wurde,
  • eine Auflassungsvormerkung für den/die Erwerber eingetragen ist und
  • die Wohnung an den Erwerber übergeben wurde.

Ob die Wohnungsgrundbücher bereits angelegt sind ist dabei unerheblich. Die Auflassungsvormerkung kann auch in dem „alten“ Grundbuch stehen.
Nach Eintragung des ersten Erwerbers in „sein“ Wohnungsgrundbuch wandelt sich die werdende Gemeinschaft in eine „normale“ WEG-Gemeinschaft um. Für einen Übergangszeitraum besteht diese WEG-Gemeinschaft aus den eingetragenen Volleigentümern und den übrigen Mitgliedern der jetzt beendeten „werdenden Gemeinschaft“. Damit ist sicher gestellt, dass jeder Erwerber/Eigentümer zu jeder Zeit Mitglied einer Gemeinschaft und den Regeln des WEG unterworfen ist.

Frau A war also nicht nur Mitglied der „werdenden Eigentümergemeinschaft“. Nach Entstehen der eigentlichen WEG-Gemeinschaft durch Eintragung der anderen Erwerber in das Grundbuch war sie werdende Eigentümerin der WEG-Gemeinschaft.

Kommentar:
Eine Grundsatzentscheidung, die im Interesse aller Praktiker unbedingte Zustimmung verdient.