Mal wieder ein Urteil des Landgerichts Berlin (Urteil vom 25.01.2024 – 67 S 264/22) welches es in die Tagespresse  und ins Fernsehen schafft. Auch ich habe in einer Eigenbedarfs-Sache und in einer Verfügung des Amtsgerichtes einen Hinweis auf eine „neue Rechtsprechung“ des Landgerichts Berlins erhalten. Warum eigentlich die Aufregung?

Die Eigenbedarfskündigung

Die Eigenbedarfskündigung bewegt sich zwischen Routine und Tragik. Die gesetzliche Konzeption ist aber recht klar: Der Vermieter muss den Eigenbedarf beweisen, wobei vernünftige und nachvollziehbare Gründe genügen. Auf dieser Ebene findet keine Interessenabwägung statt. Entweder der Eigenbedarf besteht oder nicht. Dies ist im Prozess mit den normalen Erkenntnismitteln zu klären. Erst auf einer zweiten Ebene, die der Härtegründe, findet die Interessenabwägung statt. Das Gesetz macht dazu auch eine Vorgabe: Nach § 574 Abs. 2 BGB liegt eine Härte auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann. Der Mieter muss sich um Ersatzwohnraum bemühen und dies auch nachweisen.

Setzt sich der Mieter mit dem Härtegrund durch, verliert der Vermieter den Prozess und trägt die Kosten, auch wenn der Eigenbedarf besteht. Denn nach § 574a Abs. 1 BGB kann der Mieter verlangen, dass das Mietverhältnis so lange fortgesetzt wird, wie dies unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen ist. Ist dem Vermieter nicht zuzumuten, das Mietverhältnis zu den bisherigen Vertragsbedingungen fortzusetzen, so kann der Mieter nur verlangen, dass es unter einer angemessenen Änderung der Bedingungen fortgesetzt wird. Und wenn die Parteien sich nicht einigen, bestimmt das Gericht nach § 574a Abs. 2 BGB durch Urteil die Fortsetzung des Mietverhältnisses, deren Dauer sowie die Bedingungen, zu denen es fortgesetzt wird.

Im Prinzip ist genau das passiert:

Der Fall

Die Vermieterin kündigt im Februar 2021 wegen Eigenbedarfs. Im Prozess kann sie den Eigenbedarf beweisen, allerdings hatte sich der Mieter seit Mai 2021 bis Januar 2024 bemüht, angemessenen Wohnraum zu finden und sich auf 244 Wohnungsangebote in Berlin und im Berliner Umland beworben.

Die Vermieterin wohnt bisher außerhalb von Berlin und auch in einer provisorischen Unterkunft bei einer Familienangehörigen in Berlin. Sie pendelt zur Arbeit in Berlin. Sie will dauerhaft in ihrer Wohnung wohnen, weil sie in Berlin Anteile an einem „renommierten“ Restaurant hat und dort auch arbeitet.

Der Mieter war – auf eher geringem wirtschaftlichen Niveau – selbstständig tätig und hatte ständig schwankende Einnahmen. Im Termin hat er angegeben, künftig wirtschaftlich bessergestellt zu sein, weil er eine Anstellung gefunden hatte.

Die Entscheidung

Das Gericht weist die Klage ab. Es bestimmt die Verlängerung des Mietverhältnisses auf 2 Jahre. Allerdings muss der Mieter eine höhere Miete zahlen.

Ist das neu oder was ist neu?

Das Gericht hat hier im Hinblick auf den konkreten Einzelfall das getan, was im Gesetz steht. Es hat den Eigenbedarf geprüft und für gegeben befunden. Es hat die Härtegründe geprüft und kommt zu dem Schluss, dass der Mieter im Berlin keinen angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen beschaffen kann.

Soweit also nichts weiter Überraschendes, sodass man ins Detail gehen muss. In der Tat bemerkenswert sind die Ausführungen wonach „in Berlin die Existenz nicht lediglich einer, sondern gleich mehrerer gleichzeitig geltender Rechtsverordnungen darauf hin[weist], dass der Vortrag des [Mieters] zur Vergeblichkeit seiner Bemühungen um Ersatzwohnraum zutreffend ist.“

Drei Rechtsverordnungen als eine Art Beweis des ersten Anscheins: Es gibt keinen Wohnraum.

Aus diesen Verordnungen leitet das Gericht eine Art Beweis des ersten Anscheins ab wenn es ausführt: „Die sich aus der Existenz der Verordnungen abzuleitenden Beweisanzeichen für die Richtigkeit des Beklagtenvortrags erstarken in Verbindung mit den erfolglosen Bemühungen des [Mieters] zur Beschaffung von Ersatzwohnraum zu der vollen Überzeugung der Kammer, dass Ersatzwohnraum für den [Mieters] tatsächlich nicht zu beschaffen war.“

Interessenabwägung im Rahmen der Härteregelung

Bei der Interessenabwägung im Rahmen der Härteregelung spricht das Gericht dem Erlangungsinteresse des Vermieters zwar ein erhebliches Gewicht zu: Der Umstand, nicht mehr pendeln zu müssen und nahe am eigenen Restaurant arbeiten zu können, sei als Lebensplanung zu respektieren. Dies bleibe aber hinter dem Interesse des Mieters an einem Verbleib in der Mietsache jedenfalls bis zum 31. Januar 2026 zurück:

Vermieterinteresse: (nur) Dringlichkeit des Eigenbedarfs ?!

Allerdings reduziert das Gericht das Vermieterinteresse auf die Dringlichkeit. Dieser sei bei der Klägerin nicht unterdurchschnittlich, aber gleichzeitig auch nicht mehr als gewöhnlich ausgeprägt, da ihr Eigennutzungswunsch im Wesentlichen auf eine Verbesserung ihrer derzeitigen Wohnverhältnisse gerichtet sei.

Das reicht dem Gerichgt nicht aus, um das Interesse des Mieters am Erhalt seines bisherigen Wohnsitzes zur Vermeidung von zukünftiger Wohnungslosigkeit zu überwiegen. Hier komme noch hinzu, dass die Klägerin nicht nur wegen ihrer gefestigten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auch aufgrund ihrer Teilhaberschaft an einem renommierten Restaurant in einer vorteilhafteren Lage ist als der Mieter, mit Erfolg eine andere Wohnung in Berlin anzumieten, um auf diese Weise ihre derzeitigen Wohnverhältnisse in Berlin jedenfalls vorübergehend zu verbessern. Sie würde allerdings selbst ohne Anmietung einer Ersatzwohnung weiterhin über zwei Wohnsitze in Z und in Berlin verfügen, von denen ihr lediglich der bisherige Wohnsitz in Berlin als unzureichend erscheint. Auch das lasse die Interessen des Mieters am Verbleib in der Wohnung überwiegen, zumal der Sohn der Klägerin, der später mit ihr in der streitgegenständlichen Wohnung in Berlin leben soll, derzeit noch seine Ausbildung in Z absolviert und erst in etwa zwei Jahren abschließen wird.

Aus meiner Sicht ist das immer noch eine Einzelfallentscheidung, deren Abwägungsergebnis angegriffen werden kann.

Als „neu“ bewertet werden können wohl die Ausführungen des Landgerichts, dass aufgrund der verschiedenen Rechtsverordnungen mehr oder weniger feststehe, dass es in ganz Berlin keinen Wohnraum gibt.

Ganz Berlin eine Mangellage?

Das heißt nichts anderes, als dass es eine Art Beweis des ersten Anscheins geben soll, dass in ganz Berlin eine Mangellage herrscht. Daraus kann aber m.E. trotz des Urteils nicht abgeleitet werden, dass sich Mieter auf eine Suche im bisherigen Umkreis beschränken können. Denn aus dem Kontext der Entscheidung geht hervor, dass das nur  im Zusammenhang mit den Bemühungen des Mieters gilt.

Dringlichkeit als (einziger) Abwägungsfaktor ?

Die Abwägung der gegenläufigen Interessen hat sich stets an den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls auszurichten. Dabei kommt weder den Belangen des Vermieters noch den Interessen des Mieters von vornherein ein größeres Gewicht zu als denen der Gegenseite. Es ist nicht erforderlich, dass die auf Seiten des Mieters bestehende Härte die Interessen des Vermieters deutlich überwiegt. Maßgebend ist allein, ob sich ein Übergewicht der Belange der Mieterseite feststellen lässt, also die Interessenabwägung zu einem klaren Ergebnis führt. Wiegen die Interessen der Parteien gleich schwer, so gebührt dem Erlangungsinteresse des Vermieters der Vorrang. In der Praxis wird eine Interessenabwägung oftmals zu keinem eindeutigen Ergebnis führen. In diesem Fall scheidet eine Vertragsfortsetzung nach § 574 BGB ebenfalls aus. Dies folgt aus der Erwägung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB vom Mieter zu beweisen sind.

Die Argumentation des Gerichts geht aus meiner Sicht in die ähnliche Richtung wie die, dass ein Erwerber einer Wohnung sich entgegenhalten lassen müsse, dass er die Wohnung schon mit dem Ziel einer Eigenbedarfskündigung in vermietetem Zustand gekauft und bereits zum Zeitpunkt des Wohnungserwerbs mit Schwierigkeiten, nämlich dem Bestehen von Härtegründen, habe rechnen müssen (LG Berlin Urt. v. 9.5.2018 – 64 S 176/17). Ganz ähnlich erscheint mir dies hier, weil das Gericht in der konkreten Entscheidung auf die Dringlichkeit des Eigenbedarfs abstellt. Der damaligen Entscheidung hat der BGH sehr deutlich widersprochen(Urteil vom 22.5.2019 – VIII ZR 180/18).

Der damalige Ausgangspunkt des Landgerichts war schon im Ansatz verfehlt, weil natürlich – gerade von der Sicht des Landgerichts – jeder Vermieter, der Eigenbedarf geltend macht, mit dem Einwand der Härte rechnen muss. Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob jemand vor 20 Jahren eine Wohnung erworben hat, um sie eventuell später als Alterssitz zu nutzen oder eine junge Familie eine Wohnung erwirbt, um dort kurze Zeit direkt einzuziehen. Selbstverständlich wendet jeder Mieter reflexhaft Härtegründe ein, unabhängig davon, ob sie bestehen oder nicht. Selbst wenn die Gründe eher nicht vorliegen, hat das Mietverhältnis immer einen Lästigkeitswert, der dann zu den bekannten Vergleichen führt und der Mieter für den „Verlust des Wohnraumes“ Geld vom Vermieter bekommt.

Dringlichkeit = wirtschaftliche Verhältnisse ?!

Das entscheidungstragende Element der Entscheidung läßt sich darauf reduzieren: Der Eigenbedarf der Vermieterin ist nicht dringlich.

Überspitzt gesagt:

Die Vermieterin ist wirtschaftlich bessergestellt. Ihre persönliche Situation ist eher ein Luxusproblem. Sie kann ja eine Alternativwohnung anmieten, weil sie bessere Chancen hat. Auch ohne eine neue Wohnung würde sie über 2 Wohnsitze verfügen, auch in Berlin.

Dass die Dringlichkeit des Eigenbedarfs maßgeblich sein soll, erschließt sich nicht, weil das darauf hinausläuft, dass dann eben der Vermieter länger leiden muss als der Mieter. Die Abwägung kann nur deshalb so ausgehen, weil ihr unterstellt wird, dass sie bessere Chancen hat. Hier sind wir beim eigentlichen Kern des Problems:

Was ist, wenn das „renommierte Restaurant“ nicht läuft und die Vermieterin in den nächsten 2 Jahren eventuell selbst pleite geht?

Praxisfolgen

Richtig ist wohl, dass das Landgericht in dieser Entscheidung keine neuen rechtlichen Ideen ausgebreitet hat, sodass die Revision unter diesem Gesichtspunkt nicht zuzulassen war. Der Hinweis in der Entscheidung auf die verschiedenen Rechtsverordnungen Berlin spielt nur eine Rolle im Hinblick auf die Beweisbarkeit des Härtegrundes. MieterInnenanwältInnen dürften das aber nutzen, ihre MandantInnen jetzt mehr noch als bisher in die Spur schicken, damit diese sich möglichst früh nach der Kündigung auf alle möglichen und unmöglichen Wohnungsanzeigen bewerben, die Bewerbungen (und Absagen) möglichst genau zu dokumentieren und diese dann laufend einzureichen. Aufgrund der wohnungswirtschaftlichen und wohnungspolitischen Prognosen des Landgerichtes, wonach auf Dauer keine Besserung angespannten Wohnungsmarktes absehbar sei, dürfte zumindest in den Fällen, in denen der Mieter nicht – deutlich – wirtschaftlich bessergestellt ist als der Vermieter jedenfalls bei dieser Kammer Eigenbedarfskündigungen auf absehbare Zeit zum Scheitern verurteilt sein.

Als VermieterInnenanwältinnen werden es noch schwerer haben, ihren MandantInnen zu erklären, warum trotz Eigenbedarfs eine Kündigung keinen Erfolg haben wird. Und wenn man das Argument der Dringlichkeit ernst nimmt, geraten Vermieter noch viel mehr in die Zwickmühle: in der Konsequenz der Entscheidung müsste sich ein Vermieter daher selbst in einer Art Notlage befinden, bevor er seinen Eigenbedarf durchsetzen kann. Und erfahrungsgemäß wird eine Eigenbedarfskündigung im Hinblick auf ein „Herauskaufen des Mieters“ umso teurer, je dringender der Vermieter selbst auf die Wohnung angewiesen ist.

 

 Rechtsanwalt Johannes Hofele  Fachanwalt für Steuerrechtvon Rechtsanwalt Johannes Hofele,
Fachanwalt für Steuerrecht
Breiholdt Rechtsanwälte